Neue Brücken bauen – Wege zum Frieden

Ein Projekt zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus 

 - Partizipation und Politische Bildung Jugendlicher: 
Seminare in Hessen und ein Zusammentreffen am 21.-22. März 2015 in Marburg

 - Multiplikatoren-Fachtagung für Erwachsene am 16.-17. Mai 2015 in Marburg und Stadtallendorf

 
 
In unserem Projekt erinnerten wir an den Schwur der Häftlinge von Buchenwald von 1945:
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. 
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens ist unser Ziel.“ 

In diesem Jahr begehen wir den 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges durch die Alliierten und somit eine Befreiung von Krieg, Zerstörung und Nazi-Regime.

Für die durch direkte Kriegseinwirkung Getöteten werden Schätzungen von 50 bis 56 Millionen angegeben. Die Schätzungen, die Verbrechen und Kriegsfolgen einbeziehen, reichen bis zu 80 Millionen. Aus der Vergangenheit müssen wir lernen, neue demokratische Einsicht den jungen Menschen zu vermitteln, politische Entwicklungen kritisch zu verfolgen und verantwortungsbewusst zu denken und zu handeln.

Der gemeinnützige Kulturhorizonte Verein gehört zu deutsch-russischen Vereinen und wie alle anderen Kulturvereine pflegt er die Beziehungen zwischen Deutschland und Ost- bzw. Südosteuropa, besonders in den Bereichen: Kultur, Sport, Wissenschaft. In der letzten zwei Jahren gab es besondere Herausforderungen wegen der aktuellen politischen Krisenherde in der Ukraine und des Konfliktstandes zwischen EU, USA und Russland. Zudem bedienten sich einige deutsche Politiker und die Presse mancher antirussischer Klischees.

In Deutschland leben über 4 Millionen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion – die größte russischsprachige Diaspora. Die Menschen verbindet eine gemeinsame Sprache – Russisch.

Obwohl aus der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre, 15 unabhängige Staaten entstanden sind, mit eigener Sprache und Kultur, wird Russisch von vielen Menschen verstanden und/oder gesprochen. Somit sind Russischsprachige Menschen in Deutschland – Kontingentflüchtlinge, ethnische Deutsche, Ukrainer, Armenier, Russen, Tataren, Tschetschenen – von solcher Politik betroffen, zumal viele von ihnen noch Verwandte und Freunde in den Herkunftsländern haben.

Die überlebenden Opfer des nationalsozialistischen Zwangs- und Gewaltregimes – Jüdinnen, Juden, Sinti, WiderstandskämpferInnen aus Konzentrationslagern, Deserteure, Kriegsgefangene und deportierte ZwangsarbeiterInnen – kamen frei. Aber viele ehemalige sowjetische Zwangsarbeiter erlitten nach ihrer Rückkehr weiteres Unrecht in Lagern, weil ihnen „Kollaboration“ mit den Deutschen vorgeworfen wurde. Im Westen wurden Widerstandstätigkeit, Haft und Zwangsarbeit über lange Jahrzehnte hinweg nicht anerkannt. Wie im übrigen Deutschland waren im Marburger Raum viele ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Privathaushalten, bei  Bauern, im Einzelhandel, im Handwerk, in der Industrie, in kommunalen Diensten, vor allem aber in der weiträumigen Stadtallendorfer Rüstungsindustrie eingesetzt, wo viele von ihnen starben. Auf Friedhöfen von Marburg und Umgebung sind die Namen der Toten erhalten.

Deswegen legten wir zwei Themen fest, die einerseits mit den Deutsch-Russisch sprachigen Jugendlichen, andererseits mit Erwachsenen als Multiplikatoren behandelt und diskutiert wurden:

  • „Niemand vergisst, nichts ist vergessen“, mit einem Schwerpunkt „Zwangsarbeit in Marburg und Stadtallendorf im Zweiten Weltkrieg“ - Das Programm für Politische Bildung Jugendlicher

  • „Neue Brücken bauen – Wege zum Frieden“, mit einem Schwerpunkt „70 Jahre danach: Wege zur Demokratie“ - Das Multiplikatoren Tagungsprogramm.

Das Programm für Politische Bildung Jugendlicher basierte sich darauf, dass die Jugendlichen während 4 Treffen selbst erforschen sollten, wie "eine Zeitmaschine spielerisch funktioniert". Die Felder für die "Zeitmaschine" zeichneten die Jugendlichen zusammen mit den Pädagogen. Das Spiel sieht wie ein Kasino aus. Zum Beispiel: die Jugendlichen suchen Gedichte, Lieder oder Geschichten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, hören Dokumentaraufnahmen und Hörspiele dazu, lesen Analysen darüber und reflektieren dann gemeinsam eigene Gefühle; oder sollten den Einfluss von Politik und Wirtschaft in Europa während der Kriegszeit auf die Familienbeziehungen beobachten; oder selbst ein kleines Forschungsthema auszuwählen und durchzuführen. 

Ziel war es, zu lernen, sich eine eigene Meinung zu bilden, Wissen zu erweitern, die eigene Position bewusst zu vertreten und eigene Gefühle zu reflektieren.

Am 21. März 2015 fanden Generalproben für das Festival und Gespräche über die gesammelten Erfahrungen statt und am 22. März begrüßten Frau Larissa Jurtschenko, die 1. Vorsitzende des Bundeskoordinationsrats der russischsprachigen Landsleute in Deutschland des und des Vereins Istok e.V. in Frankfurt am Main, und Herr Harald Schäfer, der Bundesreferenten vom DJO-Landesverband Hessen e.V., mehr als 100 Jugendlichen von der 8 Hessischen Vereinen: Rodnik e.V. Fulda; Planet e.V. Hanau; Musiklschule Klassika e.V. und DOIZ e. V., Kulturhorizonte e. V. Marburg; DRZ IBSK e.V. Giessen; Sovremennik e.V. Darmstadt; Istok e.V. Frankfurt am Main.

Das Multiplikatoren Tagungsprogramm wurde von Herrn Oberbürgermeister Egon Vaupel eingeleitet. Er begrüßte die Anwesenden und richtete an sie und die Referenten aufmunternde Worte, in denen er die Wichtigkeit dieser Veranstaltung betonte. Dann hat Dr. Ilina Fach die Tagungsteilnehmer zusammen mit dem Herrn Oberbürgermeister Egon Vaupel durch die Ausstellung „Zwangsarbeit in Marburg von 1939 bis 1945“ geführt. Als Themen zeigten die Tafeln: die Anzahl der zur Arbeit in Deutschland herangezogenen Kriegsgefangenen und Deportierten, die Art ihrer „Anwerbung“ sowie ihres Transports in Viehwaggons, ihre Wohnstätten (Erdlöcher, Lager, Garagen in Ockershausen), Arbeitsstätten, Arbeits- und Lebensumstände in der Industrie, etwa  bei den Behringwerken, Strafen für Ge- und Verbote, Widerstand, Produktivität von Zwangsarbeit für die Industrie, Tote in Marburg, Hessen, Tote der Ersten, Zweiten und Dritten Welt im Zweiten Weltkrieg. Dazu bot der „Marburger Weltladen“ Zeitzeugendokumente, die per Kopfhörer abrufbar waren.

Der Besuch des Dokumentations- und Informationszentrums (DIZ) Stadtallendorf war sehr eindrucksvoll.

Die TeilnehmerInnen wurden von einem mit der Entstehung des Stadtmuseums vertrauten Geschichtslehrer Hermann durch die Ausstellung geführt. 

Anschließend konnten sie den Film „System Wirtschaftsfaktor Untermensch“ sehen und diskutieren. 

Er zeigte die Verwertungsprozeduren, denen die jüdischen NS-Opfer ausgesetzt waren.

Die Veranstaltung war – gemessen an dem traurigen Thema - gut besucht, es kamen 56 Personen. Alle Teilnehmenden waren sehr berührt über die Inhalte der Tagung, bedankten sich für ihre Einladung, kamen sich gegenseitig menschlich näher und wünschten sich mehr Zeit, um die Ausstellung, die nur zwei Tage zu sehen war, intensiver ansehen zu können.

Das Besondere an der Ausstellung war, dass Texte und Foto-Dokumente der Marburger Geschichtswerkstatt, der Gedenkstätte Trutzhain und Publikationen zum Arbeitserziehungslager Breitenau und zum Konzentrationslager Buchenwald mit Fotos aus dem Katalog des Württemberger Kunstvereins „Widerstand statt Anpassung“ von 1980 kombiniert wurden.

Am Vormittag und Nachmittag des 16. Mai gab es drei Vorträge, am 17. Mai einen Vortrag. 

Die Vortragenden (Renate Bastian, Dr. Gert Meyer, Prof. Dr. Joachim Hösler, Dipl. Päd. Willi van Ooyen) schlugen einen Bogen von Zwangsarbeit, Kriegsgefangenschaft, Deportation, Deserteuren zu deutschen geopolitischen Interessen seit 1870 und Kriegsstrategien im osteuropäischen Raum von 1939-1945, zu Deutschland- und Europakonzeptionen nach 1945 und „Reflexionen zum Weltfrieden“.

Die Musiker der Musikschule Klassika e.V., Kai Noack (Klavier) und Claas-Johann Voss (Violoncello), boten in einfühlsamer, dem Thema angemessener Form Werke von u.a. Prokofjew, Rachmaninow und Schostakowitsch, die sensibel die Situation der Kriegszeit reflektierten, die leisen Töne gegen die lauten der Marschmusik ausspielten.

Der Film von Erika Fehse „Für eine Liebe so bestraft...“ berührte am Samstag alle Teilnehmenden sehr, da er Aussagen von Zeitzeuginnen vorführte, die in ihrem Dorf Jahrzehnte geschwiegen hatten, um nicht erneut, wie im Zweiten Weltkrieg und nach 1945, Ausgrenzungen ausgesetzt zu sein. Liebe in den Zeiten des Kalten Kriegs war als eine widerständige Haltung anzusehen. Der Film von Alain Resnais „Nacht und Nebel“ informierte am Sonntag über die Aktionen der Nationalsozialisten, die Widerstandskämpfer aus der französischen Resistance bei Nacht und Nebel in Konzentrationslager deportierten.

Generell haben viele der Teilnehmenden (LehrerInnen, Psychologen, Sozialpädagogen, Politologen, Studenten und Angehörige von Instituten) die historische Tagung als Möglichkeit gesehen, dieses Thema in ihrem Geschichtsunterricht an Schüler weiterzugeben oder als Anregung gesehen, in Einzelfragen weiterzuforschen oder weitere Tagungen zu organisieren. Die Arbeit der Erinnerung kann die Kraft zur Veränderung fördern.

Die Film- und Musikbeiträge oder der Museumsbesuch hat alle Teilnehmenden sehr betroffen gemacht und einen Eindruck von der Einheit der Kultur- und Zeitgeschichte gegeben.

Das Projekt haben ehrenamtlich 53 Menschen unterstützt:

insgesamt die 44 Eltern und Mitglieder von den hessischen Russischsprachigen Vereinen (von Kulturhorizonte e.V. - 12 Ehrenamtlichen), von DIZ e.V. Stadtallendorf, Marburger Weltladen, Gedenkstätte Trutzhain, der Geschichtswerkstatt, Geschichtsverein Ockershausen und von Radio Unerhört.

Kooperationspartner:
  • Musikschule Klassika e.V. für Räume und Ausstellung;
  • DIZ e.V. Stadtallendorf für politische Bildung der Jugendlichen, Begleitung durch das Museum und Filmvorführung;
  • Jugendgruppen und Lehrkräfte von 9 osteuropäischen Vereinen aus verschiedenen Städten Hessens - Gießen, Fulda, Frankfurt, Darmstadt, Hanau, Marburg;
  • DJO e. V. - Deutschen Jugend Osteuropas - Landesverband Hessen, der Bundesreferent Herr Harald Schäfer;
  • Bundeskoordinationsrat der russischsprachigen Vereinen in Deutschland e. V., die 1. Vorsitzende Frau Larissa Jurtschenko;
  • Magistrat der Universitätsstadt Marburg, der Oberbürgermeister Herr Egon Vaupel, und  Kulturamt der Universitätsstadt Marburg, Dr. Richard Laufner;
  • DGB Marburg für Teilnehmerwerbung für das Multiplikatoren-Fachseminar, Ralph Schrader und Dr. Udo Immelt
  • Jan Schalauske vom Rosa-Luxemburg-Club für aktive Mithilfe bei der Referenten- und Sponsorensuche,
  • Marburger Weltladen für Zeitzeugen-Beiträge und Mitarbeit an der Veranstaltung,
  • Gedenkstätte Trutzhain für Film und Informationsmaterial,
  • Geschichtswerkstatt Marburg für Information.
Förderer, Sponsoren und Ehrenamtlichen:
  • Magistrat und Ausländerbeirat der Universitätsstadt Marburg,
  • Deutsche Jugend in Europa Landesverband Hessen e.V.,
  • Bundeskoordinationsrat der Russischsprachigen Vereinen in Deutschland e.V.,
  • Rosa-Luxemburg-Stiftung,
  • Stadtsparkasse Marburg-Biedenkopf,
  • Privatpersonen.
Wir danken allen Beteiligten für ihr Engagement!

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